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Dienstag, 18. Mai 2010

CAVE: In Deutschland nicht Hausarzt werden!

Gründe kein Hausarzt in Deutschland zu werden.



Es gibt eine satte Menge von Gründen sich nicht zum Hausarzt in Deutschland machen zu lassen.

Weil es aber so einen gewaltigen Bedarf an gut ausgebildeten, freundlichen und lebenserfahrenen Hausärzten gibt, will ich ein Gegenkonzept erwähnen, das bei allen Schwächen, die real existierende Systeme haben müssen, dem deutschen doch in den bedeutendsten Punkten grandios überlegen ist. Das Vocational Training Scheme der britischen General Practitioners.

Weshalb ist es eine Zumutung in Deutschland Hausärztin/Hausarzt zu werden?

Weil er zu Strafzahlungen verurteilt werden kann, die ihm alles nehmen was er je erwirtschaften konnte. Er ist dann schlicht pleite. Und das nicht weil er zu viel eingenommenes Geld zurückgeben würde, sondern ausschließlich, weil man ihm das Überschreiten von Rezeptkosten vom Einkommen abzieht. Das können Beträge von 40 000.- bis 600 000.- sein. Kein anderer Beruf erlebt das. Man hat ja auch dafür ein eigenes Gesetz erschaffen müssen. Man nennt das Überschreitung der Richtgrößen oder “Regress”. Tolles Wort. Das ist eine ganz reale Katastrophe für den Betroffenen. Kann man jemandem raten so ein Risiko nur durch die Berufsausübung zu übernehmen?

Weil er bei besonderem Erfolg unter den Patienten oder bei konkurrenzloser Arbeit in ländlicher Umgebung so viele Patienten hat, dass er bis zur Erschöpfung arbeiten muss. Na das wäre kein Grund zu jammern, das gehört zum Beruf. Aber was nicht dazu gehört ist, dass dem dermaßen fleißigen Arzt ab einer bestimmten Zahl von Patienten nicht etwa ein Bonus für besonderes Engagement an der Erschöpfungsgrenze bezahlt wird, sondern im Gegenteil, ihm Geld einfach abgezogen wird. Würden 2 Ärzte die hohe Zahl an Patienten teilen können, dann würde beiden in der Summe deutlich mehr gegeben als dem einen der sich kaputt arbeitet. Man nennt das “Abstaffelung”. Tolles Wort. Eine Ungerechtigkeit zum Gelb anlaufen und ein finanzieller Flurschaden. Kann man so etwas einem Berufsanfänger empfehlen?

Weil die Bezahlung der vom Arzt erbrachten Leistung bei einer Obergrenze einfach beendet wird. Wenn er auch ein Vielfaches geleistet hat, die soundsovielte Tröstung des seelisch angeschlagenen Patienten ist einfach unbezahlt. Basta! Wenn aber nicht trickreich die letzte (auch unnötige ) Ultraschalluntersuchung bei Patient XY durchgebügelt wurde, dann bleibt er unter seinen finanziellen Möglichkeiten jederzeit zurück. Er hat also nicht mal eine faire Pauschale, die ihm ein Einkommen garantiert. Nach unten kann er immer verlieren, nach oben aber hat er eine Decke eingezogen bekommen die auch mit noch so viel Fleiß nicht gelupft wird. Wie ein Laufen über heiße Kohlen. Wer nicht schnell genug läuft wird bestraft. Der hetzende “Hamsterradarzt” ist der traurige Don Quichote, der die Windmühlen attackiert. Die Patienten sind eine Randerscheinung in dem BWL-Spiel.
Man nennt das “Leistungsbegrenzung” und “Regelleistungsvolumen”. Tolles Wort. Kann man diese Hechelei nach dem Einkommen weiterempfehlen?

Weil dem Arzt aus der Logik der nach oben begrenzten aber nach unten reduzierbaren Einkommen unterstellt wird, er würde sicher betrügen und mehr Patienten abrechnen als er gesehen habe, bekommt er eine maximale Arbeitszeit im Quartal fix vorgegeben. Und pro Tag darf er nicht mehr als 12 Stunden arbeiten. Wenn er 3 Tage über 12 Stunden gearbeitet hat, wird er wegen Betrug überprüft. Wie geht die Arbeitszeitfeststellung? Einfach und verkehrt: An eine Abrechnungsziffer wird einfach eine Mindestminutenzahl gekoppelt und wenn der Arzt unter dem Druck des vollen Wartezimmers und mit der Hilfe seiner jahrelangen Routine eine Konsultation schneller erledigt als die Vorgabe, dann gilt die Leistung als nicht erbracht. Auch wenn sie von der Qualität her erbracht worden ist! Es ist ja nicht so, dass der Arzt gerne schnell arbeitet. Nur, was soll er tun, wenn das Wartezimmer brechend voll ist und er nicht weiß wie viele schwer Kranke darunter sind, bevor er sie einzeln untersucht hat? Soll er dann nichts abrechen, nur weil ihn die Umstände zum Hetzen zwangen? Soll er die Leute heimschicken, weil ein Regelwerk die Realität nicht aushalten muss, nur der Arzt muss sie bedienen? Man nennt das “Minutenwert der Aberchnungsziffern”. Tolles Wort. Stete Bedrohung für Ärzte mit großen Praxen, als “Betrüger” vor Gericht gestellt zu werden. Kann man diesen Beruf unter Generalverdacht einem Berufsanfänger empfehlen?

Weil alle die obigen Bedrohungen oder finanziellen Bestrafungen über die Jahre der Berufstätigkeit vom Arzt verinnerlicht werden und bereits in einem vorbewussten Entscheidungsraum in reales Verhalten übertragen werden. Eine Reflexion findet aus arbeitsökonomischen Zwängen nicht mehr statt.
Einfacher gesagt, der Arzt wird dressiert ein bestimmtes Verhalten zu zeigen und er merkt es nach Jahren gar nicht mehr! Er ist durch eine Schule der Anpassung gegangen und ist letztlich ungeheuerlich manipuliert worden. Er verschreibt schlechtere aber billigere Medikamente, er verheimlicht teure Alternativen und schiebt Krankengymnastikbedarf an Fachärzte weiter. Er ist ein schlechterer Arzt geworden!
Ärztliche Entscheidung sollte auf optimale Patientenbehandlung gerichtet sein. Aber wer durch diese bis zur finanziellen Vernichtung reichende Bedrohung seiner Person und seiner Praxis sich das Verhalten manipulieren ließ ,der hat er seine innere Freiheit verloren.
Ärztliche Freiheit hieß einmal, sich als starker Kämpfer für die Bedürfnisse der Kranken ins Zeug legen zu können. Dazu passte der Begriff der Freiberuflichkeit. All das ist verloren. Denn die Freiheit die man nicht benutzt, nutzt sich ab ( Reinhard Mei). Jetzt ist sie weg, und so einen manipulierten, bedrängten und finanziell potentiell ruinösen Beruf soll man einem jungen Kollegen empfehlen?

Da habe ich noch gar nichts gesagt von der Entlohnung, die bei “guter Führung” sprich Anpassung an jede Forderung der Manipulateure überhaupt am Ende herausspringen kann. Und das will ich auch nicht. Denn diese Diskussion gehört nicht in den Mittelpunkt. Dass Ärzte nach dem Studium und jahrelanger Verantwortung in der Klinik meist 12 Jahre Ausbildung bewältigen, bevor sie eigenverantwortlich Patienten behandeln rechtfertigt ein besseres Einkommen als sie haben. Aber Geld ist ja wirklich nicht der einzige Grund für diesen Beruf.

Wer ordentlich Geld verdienen will und glaubt, seine hohe Leistungsfähigkeit verdiene auch eine angemessene Vergütung, der sollte Gastarzt in Krankenhäusern werden. Damit kann man das verdienen, was ein Arzt verdienen sollte, der das bekommt was er sich verdient hat. Kohle satt.


Wer gute Hausarztmedizin erbringen will, der sollte nach England gehen und zumindest noch 1 Jahr als Trainee in einem Vocational Training Scheme mitmachen, bevor er sich zur Mitarbeit in einer britischen Praxis bewirbt. Wer mir hier widersprechen will, der sollte das erst einmal getan haben. Die arroganten deutschen Kommentare über die Systeme anderer Länder sind peinlich. Diese Ignoranz ist allerdings nur eine Facette der Hybris, die unser System so deformiert hat wie ich es hier beschrieben habe. Diese Arroganz erstreckt sich eben auch auf den Umgang mit den Kollegen.

Ich kann es niemandem empfehlen Hausarzt in Deutschland zu werden.
Erst wenn man die Ärzte hier vermissen wird, wird man bemerken was sie wert waren.